Dienstag, 6. November 2012

Licht

Spoiler: Ich erzähle diese Geschichte sehr gern und oft... Der geneigte Leser könnte sie also vielleicht schon kennen.

Seit September weihnachtet es nun schon in deutschlands Konsumtempeln und so langsam wird mir bewusst, dass ich dieses Jahr nicht wie üblich bei meiner Familie verbringen werde. Keine zu Tränen gerührte Mutter, kein Streit unter Geschwistern und auch meine Tochter wird diesmal nicht am 1. Feiertag nachgeholt ihre Päckchen von ihrem Papa-Part ihrer Patchworkfamilie aufreißen. Ich werde tatsächlich in Neuseeland sein, aber das ist eine andere Geschichte. Während ich nun also durch Supermärkte streife und mit meiner Tochter Wunschzettel ausfülle, die an den Packen Endlospapier meines Commodore 64 - Nadeldruckers erinnern, denke ich mit ein wenig Wehmut zurück an das erste Weihnachten (mit) meiner Tochter. 

Damals lebten wir in einem Loch mit einem einzelnen beheizbaren Raum (Außenwand-Gas-Heizung) und daneben war mein "Raucherraum", mein Arbeitszimmer. Meine Tochter schlief in einer Kinderwagentasche auf einem Tisch neben der Heizung und über ihr schrie Leonidas auf einem Plakat seine Königswache zu den Thermopylen. Ich hatte die Nachtschichten, welche ich mir mit wenig Arbeit und viel Ultima Online in der Wendelwelt (Freeshard) vertrieb. Nun wollte meine Tochter ihre Frau Mutter aber nicht wirklich schlafen lassen. Was hieß das? Ich hatte zwar die Nachtschicht mit Nuckel in Mund stecken, Windeln wechseln, Tee anbieten aber ich gab keine Milch. Meine Tochter wollte aber die Milch ihrer Mutter. So blieb mir Nichts anderes übrig als sie ihrer Frau Mutter an die Brust zu legen und dann wieder in ihr Bettchen zu bringen. Nicht unbedingt gut für das Ego eines Vaters... aber das ändert ja auch nichts an den Drüsen...

Nun war also kurz vor Weihnachten und ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dass meine Tochter doch Fläschchen irgendwie toll finden muss... wenigstens ein mal täglich. Es war eine dieser Nächte und das Fläschchen war warm und ihr Gejammer die einzige Reaktion. Es dauerte immer eine Weile, bis sie sich man sie wieder vom Jammern beruhigt hatte, nachdem sie das Fläschchen auch nur gesehen hatte. Noch heute bin ich erstaunt, wie stur sie da war... obwohl... egal... Also machte ich den Weihnachtsbaum an. Babys sind immer fasziniert von Licht und meine Tochter fand es so faszinierend, dass sie sich schneller beruhigte als Raoul Duke auf Ether. Da durchzuckte mich eine Idee wie ein Blitz. Ich legte meine Tochter auf meinen Linken Arm, so dass sie die Lichter des Baumes erblicken konnte und dennoch in Fläschchenpose war. Aber so schnell ließ sich sich nicht verarschen und blickte sich um, eine Flasche erwartend... doch da war keine. Hinter meinem Rücken testete ich mit der rechten Hand Wärme und Konsistenz des Fläschchens (und dessen Inhaltes). Das Licht erfüllte durch ihre Augen ihr Hirn und man konnte förmlich fühlen, wie es sich hineinwebte bis es auch das Stammhirn erreichte und langsam die Wirbelsäule nach unten troff.* Sie sah das Fläschchen nicht kommen. Es musste sich angefühlt haben wie ein Nuckel denn sie schien es nicht zu... dann die Erkenntnis: "Da kommt was raus" Es stand auf des Messers Schneide. man konnte förmlich die Gedanken von ihrer Stirn lesen: "Das ist nicht Mamas Milch aber... aber... LICHT!" Sie zutschte... Ich betete... Dann schluckte sie und... Ich traute mich kaum zu atmen. Sie trank. Erst jetzt merkte ich, dass ich mich nach vorn, zum Baum hingebeugt hatte. Sie trank und ich ignorierte das Ziehen in meinem Rücken... die ganze halbe Stunde, während die Beleuchtung des Weihnachtsbaumes sein Werk tat.

Selten empfand ich solchen Stolz auf mich selbst... Ab diesem Zeitpunkt gab ich meiner Tochter jede Nacht ein Fläschchen und der Baum flog erst Ende März auf den Müll.

Meine Tochter kurz nach der Geburt... wie alle Babys...

* - Danke, Hunter S. Thompson

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