Samstag, 24. Oktober 2015

Weapons of (Mass-)Construction

Prolog: Nun bin ich ja seit einiger Zeit in der Genderarbeit tätig. Das heißt vor allem bestehende (gesellschaftliche) Rollenbilder zu betrachten und mit Kids aufzubrechen... zumindest im besten Fall. Interessant ist, dass einem selbst manchmal gar nicht bewusst wird, wie sehr man in bestimmten Rollenbildern verhaftet ist und dass dies manchmal auch gar nicht so schlimm ist (zumindest in bestimmten Fällen). So hatte meine Tochter eine extreme Pink-Phase überstanden und das spezielle Mädchen-LEGO steht im Schrank. Gerade sind Drachen cool und eine ferngesteuerte Drohne. Zitat eines Jungenpädagogen und großen LEGO-Fans zu einem "sich in Frage stellenden" Vater (mir) zum Thema : "Na dann war das vielleicht einfach mal dran?"
 
Jungfernflug: Seit der letzten Modell-Hobby-Spiel* wartete also eine Drohne auf ein inzwischen achtjähriges Kind und nun war es soweit. Die Packung wurde aufgerissen, der Akku geladen und die ersten Flugversuche in der Küche (da war am meisten Platz) führten zur Feinabstimmung der Drehzahlen der 4 Rotoren (Danke Mr. Modellbau-Lego-Genosse Schmitti) und dennoch war es für meine Tochter gar nicht so einfach das Steuern zu lernen. Nach einigen Anläufen gingen wir also in den Hof auf eine Wiese. Die ersten Flugversuche dort waren viel entspannter, da mein Töchterchen nicht mehr so viel Angst hatte mich, oder das Kücheninventar zu zerlegen. Und dann wollte sie es so richtig wissen. Sie gab Vollgas. Die Rotorblätter summten "lautstark" auf und die Drohne startete in den einzigen riesigen Baum in der Nähe, wo sie sich in ca. sieben Metern Höhe in einem Ast verhackte. Jegliche Selbstrettungsversuche schlugen fehl, da die Rotorleistung das Fliegengewicht "Drohne" mühelos bewegte, aber nicht genug Kraft hatte das Fluggerät aus dem Baum zu retten. Ich war sprachlos. Sollte es das schon gewesen sein?

Kindheitserinnerung: Ich holte einen Ball. Wenn einem als Kind ein Ball in einem Baum hängen blieb, dann half es immer einen weiteren Ball nachzuwerfen. Wieder angekommen stellte ich fest, dass es verdammt schwer ist einen Ball mit Muskelkraft auf sieben Meter höhe zu bringen und dann auch noch die Drohne (10X10 cm) zu erwischen. Nach einigen Versuchen und einem schmerzenden Arm gab ich auf. "Muss die jetzt für immer da bleiben"? fragte mich meine Tochter. "Hmmm..." antwortete ich und tatsächlich fällt mir erst jetzt auf, wie stereotyp diese Aussage im Hinblick auf Rollenklischees ist. Dann durchfuhr mich ein Blitz der Erkenntnis. Eine meiner Nerfs** könnte die Höhe erreichen. Ich lief also nochmal nach oben.

Das Monster: Der geneigte Facebookbenutzer, welcher ab und zu meine Posts liest mag sich an eine Nerf erinnern, welche ich mit einer Doppelfeder gemodded habe. Ich nannte sie "Monster", da ich echt Angst habe diese Spielzeugpistole auf Menschen in nächster Nähe aubzufeuern. Ich kam also wieder in den Hof mit einer dicken Knarre in der Hand, welche mit 6 Schuß geladen war. Inzwischen hatten sich schon einige Nachbarn am ihren Balkonen versammelt und beguckten in der zunehmenden Dämmerung den "Freakvater" und was der nun schon wieder anstellte. Nicht unbekannt... Ich stellte mich genau unter die Drohne, legte an und schoß. Der Dart verfehlte die Drohne, flog durch das Blätterdach und in der Ferne verhallte der Pfeiflaut***. Nach ungefähr 2 Sekunden kam der Pfeiflaut erst wieder und nach einer weiteren Sekunde
schlug der Dart  neben uns in den Boden. Der geneigte Physikliebhaber mag ausrechnen, welche Mündungsgeschwindigkeit die Waffe öhm... Spielzeugpistole hat. Jedenfalls werde ich deren Gebrauch in einem Liferollenspiel nochmals intensiv überdenken. Ich positionierte mich in einem schrägeren Winkel zum corpus delicti und feuerte erneut, und erneut und erneut und erneut, ohne Erfolg. Die Streuung war einfach zu groß und die um sich greifende Dunkelheit machte das Zielen sehr schwer. Die Drohne leuchtete zwar, meine Waffe allerdings nicht. Ein Schuß noch... Meine zweite Hand sollte das Verziehen beim Rückstoß und allgemein eine bessere Möglichkeit der anvisierens geben. Ich drückte ab und traf. Sehlenruhig fiel die Drohne ins Gras ohne Schaden. Das freudige Lächeln meiner Tochter sagte Alles. Ich hatte es geschafft.

Epilog: Während ich die verschossenen Darts suchte, flog meine Tochter ihre Drohne noch eine Weile spazieren, bis der Flugakku den Geist aufgab. Tatsächlich ist es verdammt schwer solch ein Teil zu steuern, wie ich selbst (sehr kurz) erfahren durfte. Aber ich bin stolz auf meine Tochter und sie war Stolz auf ihren Papa, der mit seiner umgebauten Spielzeugknarre eine Drohne abschoß um das Lächeln eines Kindes zu retten. Als es ins Bett ging las mir meine Tochter aus einem alten Kinderbuch**** von mir vor. Sie lag unter ihrem Prinzessinenbaldachin, mit Pferden und einem LARP-Schwert an der Wand, einem Bild des Universums neben selbstgemalten Meerjungfrauen und im Regal wachten die Drachen eine Etage über dem Mädchen-Lego. Und da erst gewann ich die Gelassenheit es nicht mehr richtig gender*_innen zu müssen, sondern meine Haltung entspannt fortzusetzen. Meine Tochter wird wählen dürfen und die Fähigkeiten haben ihre eigenen Handlungen zu reflektieren... vielleicht nicht immer... aber... wer tut das schon?

Weapons of (Mass-)Construction


*- Eine Messe in Leipzig
**- Nerf ist eine Firma für Spielzeugpistolen, die Schaumstoffdarts verschießen.
***- größere Drats und speziell hergestellte geben einen Pfeiflaut ab.
****- Die Legende vom Pfefferchen